FINDUNGSKAMPAGNE COBIJA 6. – 9.OKTOBER 2022
Cobija ist die Hauptstadt von Pando, dem nördlichsten und nach Potosí und Chuquisaca, drittärmsten Departement Boliviens, mit der geringsten Bevölkerungsdichte. Es liegt im bolivianischen Amazonasgebiet, mit Temperaturen um die 30 bis 40 Grad und starken tropischen Regengüssen. Mangelhafte Schulbildung und vor allem im großen ländlichen Bereich völlig unzureichende ärztliche Versorgung gehören zu den größten Problemen der Region.
Die wenigen Kinderärzt*innen vor Ort kämpfen unter anderem mit Parasiten, Dengue-Fieber, Schädel- und anderen Traumata durch Motorradunfälle, Unterernährung und Übergewicht mit den begrenzten Mitteln, die ihnen zu Verfügung stehen. Es sind wahre Held*innen, die einspringen wo sie gebraucht werden und improvisieren um Leben zu retten.
Als Dr. Taborga vor rund 30 Jahren als junger Arzt im Anerkennungsjahr nach Cobija kam, wollte er eigentlich Kardiologe werden. Er musste jedoch mitansehen, dass viele Babys und Kleinkinder starben, weil es in der ganzen Stadt keinen Kinderarzt gab. Daraufhin beschloss er, in Santa Cruz Pädiatrie zu erlernen und als Kinderarzt zurück an das staatliche Krankenhaus in Cobija zu gehen. Seitdem hat er viele Kinderärzt*innen ausgebildet, und einige auch zum Bleiben überreden können. Dr. Cynthia Thellaeche hat, als sie vor 11 Jahren als erste Neonatologin nach Cobija kam, die Station für Neonatologie von Null aufgebaut. Zusammen mit anderen Kolleginnen und Kollegen kämpfen sie um das Leben der Kinder aus dem gesamten Departement, dem benachbarten Departement Beni und sogar von der anderen Seite der Grenze, aus Brasilien, für die es das nächstgelegene und oft einzig erreichbare Krankenhaus mit stationärer Behandlung ist.
Zu all den Fachbereichen, die vor Ort fehlen, gehört natürlich die Kinderkardiologie. Es gibt keine Möglichkeit, Kinder mit der Vermutung auf Herzfehler richtig zu diagnostizieren oder gar zu behandeln. Dafür müssten die Familien über 20 Stunden im Bus nach La Paz fahren oder, wenn sie genug gespart haben, einen Flug nach Santa Cruz oder Cochabamba nehmen.
Aus diesem Grund haben wir unsere diesjährige Findungskampagne nach Cobija getragen. Dank des Kontaktes zu Dr. Taborga und Dr. Thellaeche konnten viele Kinder mit Verdacht auf Herzkrankheiten im Vorfeld ausgewählt werden.
Das staatliche Krankenhaus Hospital Dr. Roberto Galindo Teran hat uns fünf Räume zur Verfügung gestellt und dafür drei Tage auf die ambulanten Sprechstunden verzichtet. Im ersten Raum wurden die kleinen Patient*innen gewogen, gemessen und ihre Daten aufgenommen, dann kamen sie zur gründlicheren Untersuchung, Blutdruck- und Sättigungsmessung sowie Elektrokardiogramm zu Dr. Jesus Ardiles und Dr. Ivanna Noya. Im dritten und vierten Raum haben Frau Dr. von Alvensleben mit Herrn Trapp und Frau Dr. Freudenthal mit Frau Mendizabal jeweils den Herzultraschall gemacht und die Eltern eingehend informiert und beraten.
Aus La Paz haben wir zwei Herzultraschallgeräte, ein Ekg-Gerät und ein Gerät zur Sauerstoffsättigungs- und Blutdruckmessung mitgebracht. Die Kinder, die eine Behandlung benötigen, sind anschließend mit ihren Familien in den fünften Raum gekommen, wo ich noch einmal die geplante Behandlung erklärt, sie in den Herzverein aufgenommen und die finanzielle Unterstützung zur Durchführung der teuren Behandlungen zugesagt habe. Marizol Mamani, die Sozialarbeiterin von Puente de Solidaridad, hat die betroffenen Familien besucht, um einerseits die Lebensverhältnisse vor Ort zu sehen und um in vertrauter Umgebung noch einmal in Ruhe mit den Eltern sprechen zu können. 130 Patient*innen wurden in drei Tagen untersucht. 17 Patient*innen mit angeborenen Herzfehlern wurden in den Herzverein aufgenommen. 14 von ihnen sollen innerhalb der nächsten Monate behandelt werden. Weitere elf Kinder und Jugendliche benötigen derzeit nur medikamentöse Therapie und/oder regelmäßige Kontrollen.
Die Stadtverwaltung von Cobija hat uns gleich nach unserer Ankunft mit einer Zeremonie empfangen, und uns eine Auszeichnung als besondere Gäste der Stadt verliehen. Uns ist es wichtig, dass die Behörden der Stadt von unserem Projekt wissen und insofern Verantwortung übernehmen, dass sie die betroffenen Familien gegebenenfalls finanziell bei dem Kauf von Flugtickets oder anderen anfallenden Kosten unterstützen.
Dank der Spenden unseres Schwestervereins Österreichische Herzkinderhilfe für Bolivien können wir nicht nur die Untersuchungen zahlen, sondern auch die jetzt anstehenden Operationen am offenen Herzen und Herzkatheter-behandlungen finanzieren. Seitdem der Herzverein mit dem Verein Puente de Solidaridad zusammenarbeitet, werden die Behandlungen zu gleichen Teilen von beiden Vereinen finanziert. Die Familien werden jeweils gebeten, im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine nicht bestimmte Summe beizusteuern. Puente de Solidaridad hat den Hauptsitz in Cochabamba, wo auch der Großteil der Behandlungen durchgeführt werden, und sie unterstützen die Familien, die fremd in der Stadt sind und für die Dauer der Behandlung ihres Kindes eine Unterkunft brauchen.
Gerne möchte ich Johannes Trapp und die beiden Assistenzärzt*innen des Kardiozentrum vorstellen, die während dieser Kampagne mit großem Einsatz und Hingabe für die Patient*innen des Herzvereins gearbeitet haben. Dafür lasse ich sie selbst zu Wort kommen:
„Nach einer der schwersten Zeiten meines Lebens hat die Möglichkeit, im Kardiozentrum zu arbeiten, in nur einem Jahr alles für mich verändert. Derzeit arbeite ich als Projektleiter an drei verschiedenen Projekten: Eine Studie zu den kardiopulmonalen Folgen von Covid-19 bei Kindern und Jugendlichen in verschiedenen Höhenlagen, eine Studie zur Früherkennung von angeborenen Herzfehlern bei Neugeborenen in der Höhe und an der Umstrukturierung des Rettungsdienstes in Santa Cruz, Bolivien. Außerdem genieße ich es sehr, bei Herzkathetern auszuhelfen und an den Kampagnen und Kursen teilzunehmen, die wir durchführen, wann immer wir können. Darüber hinaus bilden wir in der Praxis sowohl für die Kinder- als auch für die Erwachsenenkardiologie ein tolles Team.
Ich bin sehr dankbar für die Gelegenheit, persönlich und beruflich zu wachsen, dankbar für meine Arbeitskollegen und dankbar dafür, dass ich einen Sinn in meinem Leben gefunden habe. Das Gefühl, dass die Arbeit, die wir jeden Tag leisten, das Leben anderer Menschen verändert, ist wunderschön.“
Johannes Trapp
„So viele fröhliche Gesichter in dieser, im Oktober in Cobija durchgeführten Kampagne zu sehen, hat mich einmal mehr in die Medizin verlieben lassen und in die Gewissheit darüber, in welchem Maße wir ein Leben verändern können, wenn wir einfach zuhören.
Im Kardiozentrum werde ich Schritt für Schritt angeleitet und begleitet, um meine Träume und Ziele zu verwirklichen und mich als zukünftige Fachärztin zu bilden.
Vielen Dank an alle, die dies möglich gemacht haben.“
Dr. Ivanna Noya Alurralde, Nichte unserer Dr. von Alvensleben
„Ich mache ein Praktikum im Kardiozentrum, um meine Kenntnisse im Umgang mit Herzkrankheiten bei Kindern und ihrer Behandlung zu erweitern. Ebenso um im Prozess der Forschung teilzunehmen und daraus zu lernen. In der Zukunft möchte ich einen Facharzt und einen spezialisierten Facharzt absolvieren um meine medizinische Laufbahn zu vollenden.“
Dr. Carlos Jesus Ardiles Spielvogel
Danke, Gracias, allen die hier mitgewirkt haben und unsere kleinen Patientinnen und Patienten bis zum Ende ihrer Behandlung begleiten werden.
Herzlichst,
Ihre Susana Castellanos
Vorsitzende des
Herzvereins